Klaus Müller über das Rudern: „Diese Leichtigkeit ist faszinierend“
von Thomas Pahl
Schleswiger Nachrichten vom 14.02.2020
Schleswig
Herr Müller, was macht die Faszination des Ruderns aus?Der Umgang mit dem Medium Wasser – mit dem Ziel der weitgehend schwerelosen Bewegung. Eine Ruderbewegung ist vergleichbar mit dem Flügelschlag eines großen Greifvogels. Mit den Skulls setze ich den Akzent, dann folgt die Gleitphase, die Schwerelosigkeit. Diese Leichtigkeit potenziert sich mit der Qualität der Ruderer. Wenn ein Achter läuft, dann gelangt man in eine Erlebnistiefe, die man vielleicht noch beim Skilaufen erleben kann.Sie beschreiben Ihren Sport mit geradezu poetischen Worten. Wie sind Sie zum Rudern gekommen?Das war 1961 während meiner Sportlehrerausbildung an der Universität Marburg. Einer führte das vor, und da dachte ich mir: Das musst du auch machen. Das Rudern mit seinem so ganzheitlichen Bewegungsablauf hat mich von Anfang an fasziniert.In jungen Jahren: Klaus Müller im Einer unterwegs. Foto: Privat Und dann sind Sie nach Schleswig an die Domschule gekommen ...1965 wurde ich hier Referendar. Zwei Jahre später hat man mir als sogenanntem Protektor die Schülerruderriege anvertraut. Protektor ist übrigens ein schönes Wort, es beinhaltet, die schützende Hand über etwas zu legen – in diesem Falle über Kinder und Jugendliche. Das Training habe ich weitgehend selber geleitet, inklusive des wichtigen Wintertrainings, in dem bekanntlich die Regatten im Sommer gewonnen werden.Und dabei haben Sie Ihren Schülern die Begeisterung fürs Rudern vermittelt.Ich habe den Kindern aufgezeigt, Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Wasser umzugehen, ist eine besondere Kunst. Dazu gehört Disziplin, die man am besten in Großbooten wie dem Achter lernt. Wir haben Wanderfahrten in Polen, Österreich, der Schweiz und den skandinavischen Ländern unternommen. So etwas ist immer ein großes Abenteuer. Einmal waren wir 14 Tage lang auf dem Saimaa, dem größten See Finnlands, unterwegs – von Insel zu Insel. So etwas schweißt zusammen. Dazu gehören Leute, die Einsatz zeigen, Entbehrungen in Kauf nehmen und Tugenden wie Rücksichtnahme und Ausdauer entwickeln.Wie ist es heute um das Rudern an der Domschule bestellt?Durch das G 8-Abitur hatten wir eine Delle bei den Mitgliedern. Jetzt ist das Rudern in den Nachmittagsunterricht integriert. Wir haben so viele Fünft- und Sechstklässler, dass wir sie kaum betreuen können. Dennoch würde ich mir noch mehr Unterstützung durch die Schule wünschen: vor allem, dass man den pädagogischen Wert dieses Sports erkennt, an dem die Jugendlichen wachsen können. Eine wunderbare pädagogische Erfahrung. Zur Zeit gibt es jetzt zwei sehr engagierte Protektorinnen, eine von ihnen ist Leistungsruderin.Sie haben in Ihrer Zeit als Protektor und als Vorsitzender des Vereins aber sicher auch nicht nur schöne Zeiten erlebt, oder?Als unser Bootshaus 1996 abgebrannt ist, war das ein großer Schock. Ein junger, psychisch kranker Mann hatte es angezündet. Viele Ruderer standen vor der Ruine und haben geweint. Aber das ist in positive Energie umgewandelt worden. Die Hilfe nach dem Brand war überwältigend und wohltuend. Sie kam von vielen Seiten, auch von der Stadt mit dem damaligen Bürgermeister Klaus Nielsky. Und wir hatten damals eine Junioren-Weltmeisterin, Frauke Göring. Die hatte uns der Himmel geschickt. Sie hat uns Türen geöffnet, als es darum ging, Fördergelder oder neue Boote zu bekommen.Und dann haben Sie ein neues Bootshaus bekommen ...... das sich sehen lassen kann. Wir sind hier sehr gut aufgehoben. Wir haben heute so zwischen 30 und 40 Boote. Da sind manche Bootshäuser an der Alster in Hamburg nicht besser ausgestattet.Hatten Sie neben Ihrem Beruf und Ihrer Funktionärstätigkeit ausreichend Zeit, um selber ins Boot zu steigen?Ja, in der Regel morgens. Nach Möglichkeit war ich noch vor Sonnenaufgang im Skiff, dem Einer, auf der Großen Breite unterwegs. Wenn dann die Sonne hinter den Baumwipfeln hervor leuchtet, dann hinterlässt das im Kielwasser einen goldenen Strahl, auf dem ich sicher nach Hause navigieren konnte. Das ist eine ästhetische, fast schon spirituelle Erfahrung.Bildervortrag im Bootshaus„Fast 60 Jahre Faszination Rudern: Aus der Seekiste der Erinnerungen“ hat Klaus Müller seinen Bildervortrag überschrieben, den er am Mittwoch, 19. Februar, 19 Uhr, im Bootshaus des Domschulruderclubs Schleswig (Am Luisenbad 1b) hält. Dabei wird der Ehrenvorsitzende auch Fotos aus den Anfängen des 1906 gegründeten Domschulruderclubs präsentieren. Die „Fast 60 Jahre“ im Titel beziehen sich auf Müllers eigene Zeit als Ruderer. Zu dem Vortrag sind alle Interessierten eingeladen; der Eintritt ist frei. Sind Sie auch Regatten gefahren?Ich bin kein Rennruderer im klassischen Sinne, aber in fast allen Bootskategorien habe ich auch „kleinere“ Regatten gewonnen. In erster Linie hatte ich aber eine Trainer- und vor allem Betreuerfunktion. Mit unserer Schülerruderriege waren wir mehr als ein Dutzend Mal bei „Jugend trainiert für Olympia“ in Berlin dabei – mit großem Erfolg.Sie sind inzwischen über 80. Rudern Sie immer noch?Leider habe ich mir beim Hausbau auf dem Holm mein Knie verletzt. Skiffrudern kann ich nicht mehr, nur noch im Mannschaftsboot fahren. Grundsätzlich ist Rudern aber ein Sport, den man bis ins hohe Alter hinein ausüben kann. Wir haben im Verein Leute, die noch mit 90 gerudert haben.Ist die Schlei eigentlich ein gutes Ruderrevier?Es ist ein wunderbares Ruderrevier, eines der schönsten überhaupt. Auch deshalb, weil es teilweise See-Charakter hat. Besonders schön ist es, wenn – wie wir es nennen– „Skiff-Wetter“ herrscht. Wenn die Schlei absolut blank ist. Dann bringt ein Ruderschlag 15 Meter. Dieses Gleiten, diese Leichtigkeit – einfach zum Genießen, faszinierend ...